Der Begriff soziale Frage bezeichnet die sozialen Missstände, die mit der modernen europäischen Bevölkerungsexplosion und der Industriellen Revolution einhergingen,[1] das heißt die sozialen Begleit- und Folgeprobleme des Übergangs von der Agrar- zur sich urbanisierenden Industriegesellschaft. In England war der Beginn dieses Übergangs etwa ab 1760 zu verzeichnen, in Deutschland ab dem frühen 19. Jahrhundert. Schon geraume Zeit davor kristallisierte sich dramatisches Elend großer Bevölkerungsgruppen heraus. Eine erste Phase umfasste in Deutschland etwa die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie war geprägt von einer schnell wachsenden Bevölkerung, die ein lohnarbeitendes Proletariat schuf, der Bauernbefreiung, Landflucht und Verstädterung, dem Niedergang des alten Gewerbes und einem allmählichen Aufkommen der Fabrikindustrie.
Kernprobleme der sozialen Frage waren der Pauperismus und die Existenzunsicherheit von Bauern, ländlichem Gesinde, Handwerkern, Arbeitern und kleinen Kontorangestellten.
Im Laufe der Zeit verschoben sich die Problemlagen. Etwa zwischen den 1850er und den 1870er Jahren erfuhr die Industrie einen starken Aufschwung, während sich der Niedergang des Heimgewerbes und die Krise des Handwerks fortsetzten. Eine dritte Phase war in Deutschland seit etwa 1870 von der Hochindustrialisierung und vom Übergang zur Industriegesellschaft geprägt. Die soziale Frage wurde nun vornehmlich zur Arbeiterfrage. Massenhafte Abwanderung vom Lande in die städtischen Industriezentren, Begleiterscheinungen der Großstadtbildung und die gesellschaftliche Integration der Industriearbeiterschaft beschäftigten die politisch Verantwortlichen ebenso wie die bürgerliche Öffentlichkeit. Je nach Problemwahrnehmung und Interessenlage wurden unterschiedliche Lösungsansätze zur sozialen Frage entwickelt.